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Vollständige Version anzeigen : Linkshändigkeit im Dritten Reich


BarbaraS
12.05.2013, 19:01
Hallo @ all,

nachdem ich heute zum internationalen Museumstag unser hiesiges Schulmuseum besucht habe und dort eine recht interessante Ausstellung über das Schul/Bildungswesen in der Zeit des Dritten Reiches gesehen habe, mit all den zu der Zeit propagierten Ideologien kam sowohl bei dem Mitarbeiter der Einrichtung (ULH) als auch bei mir die Frage auf, wo man die Studie:

1935 von Heinrich Himmler in Auftrag gegeben

-Zusammenhang zwischen Linkshändigkeit einerseits und geistiger Verfassung der Homosexuellen andererseits

finden kann.

Eine zur NS-Zeit immens wichtige Studie, über die ich einige Schlagworte finden konnte, leider nicht die gesamte Studie. Dies Studie sollte einiges an Aufschluss darüber geben, warum auch in unserer Zeit das Thema LH noch ein sehr sensibles, teilweise unaussprechliches ist. Das betrifft ja doch die sehr nahe Vergangenheit, die Zeit unserer Eltern/Großeltern.

Wer weiss, wo ich darüber mehr finden kann?

Gruß BarbaraB

Lilo
13.05.2013, 21:37
Hallo BarbaraS,

probier’s bzgl. Recherche mal mit

Grawitz, Ernst
Reichsarzt der SS und Polizei, General der Waffen SS

„ …1935/36 hatte Grawitz an Himmler eine Studie vermittelt „Über das Thema Linkshändigkeit einerseits und geistige Verfassung der Homosexuellen andererseits …“
(google books)

ob die Studie heute noch erhältlich od. einsehbar ist, weiß ich nicht, ggf. könntest du anfragen bei:

- Medizinhistorische Institute renommierter Universitäten, z.B. Humboldt-Uni Berlin

- Institut für Geschichte und Ethik der Medizin, TU München
s. Website, evt. dort einschlägigen Fachmann/Frau kontaktieren
(vllcht. haben die wenigstens Tipps für weitere Recherche)

Bitte hier kundtun, falls du fündig geworden bist :)

Noch ein Gedanke:
LH galten in der NS-Zeit, soweit ich informiert bin, als krankes, nicht lebenswertes Gesindel. Dennoch haben die NS-Chefideologen vieles bzgl. Ächtung, Ausgrenzung etc., nicht aus der Luft gegriffen oder erfunden, sondern ihre Sichten und Handlungen beruhten oft auf teils unterschwellig vorhandenen, ihnen "genehmen" Ansichten und Entwicklungen aus WK I, Kaiserreich oder noch weiter zurück, so wie ja z.B. auch die Judenächtung und -verfolgung, historisch gesehen, weit ins Mittelalter zurück reicht.
Genauso lässt sich auch die Ächtung der LH bis ins Mittelalter zurückverfolgen (selbstverständlich, ohne beides miteinander vergleichen zu wollen!), woran die Kirche und gesellschaftliche Normierung, später Industrialisierung, einen nicht unbeträchtlichen Anteil hatte.

Demnach wäre es trotzdem gut möglich, dass die direkte oder indirekte Weitergabe von Aversionen und Ressentiments bzgl. Linkshändigkeit aus der NS-Zeit durch Großeltern und Eltern an uns Nachkommen erfolgte. Flächendeckend würde ich davon allerdings (bzgl. LH) nicht ausgehen.
Dann müsste das schon eine sehr einschlägige Studie gewesen sein, und entsprechend flächendeckend populär kommuniziert worden sein, wie z.B. die „jüd. Physiognomie“, durch Massenmedien etc., dazu scheint mir das Thema LH in der NS-Zeit dann doch zu randständig gewesen zu sein.

In diesem Zusammenhang wäre es interessant, mal zu schauen, wie in Zeiten WK I, Weimarer Rep. und Kaiserreich mit LH umgegangen wurde (in Wort und Tat). Gibt es dazu Studien oder hist. Berichte?

Viele Grüße
Lilo

BarbaraS
14.05.2013, 14:17
Hallo Lilo

vieles habe ich noch nicht finden können.

Hier ist eine Studie zur "Rassenhygiene" von 1921

http://www.dullophob.com/PDF-Dateien/BFL%201921+Einfuehrung.pdf

Das dürfte einer der Vorläufer der Himmler Studie gewesen sein. leider nur als PDF File, runterladen dauert ewig, aber weil von 1921 Urheberrecht abgelaufen. Hab ich noch nicht ganz durchgelesen. Das war ja auch die Zeit, als man sich intensiv mit der Völkerkunde/Kolonialpolitik befasst hat, in Hinblick auf die Menschen/menschl Rassenlehre.

Sicher dürfte sein, dass im Zuge der Rassenhygiene/Ariertumes die Homosexualität als abartig galt, da Homosexualität recht häufig mit LH zusammenfällt, war der Weg wohl nicht allzu weit, als Zeiger sowohl für das eine als auch das andere anzunehmen. Dazu käme noch die Problematik der Rassenhygiene in Bezug auf Lernschwache/Lernbeeinträchtige (damals als Schwachsinnige bzw. Schizophrene bezeichnet - darunter dürften auch einige gewesen sein, die mit extremen Umschulungsfolgen zu tun hatten.)

Zum Thema Zwangssterilisation geistig oder körperlich Beeinträchtigter und zur Verfolgung der Homosexuellen gibt es etwas Literatur. Ich werde mal in der Biblio stöbern gehen und in den Büchern die Quellen/Literaturhinweise durchsehen.

Ernsthaft angefangen dürfte die Diskriminierungsproblematik, abgesehen von der christlichen Seite (dazu ist bei Sattler/Links und rechts ... einiges zu lesen) mit der Industrialisierung und der damit einhergehenden Normung vieler Arbeitsabläufe und industriellen Serienfertigung vieler Dinge. Wie es im Kaiserreich war? Dazu habe ich noch nichts gelesen, aber der zu der Zeit auch im öffentlichen Leben herrschende Drill, die Obrigkeitshörigkeit mit den dazu gehörenden staatlichen/kaiserlichen Regularien dürfte ein übriges getan haben.

Gruß BarbaraS

Connie9
14.05.2013, 22:09
hallo,Barbara,das Thema Linkshändigkeit im Dritten Reich interessiert mich sehr.Dass durch unsere grosseltern und Eltern uns nonverbal oder auch verbal übermittelt wurde,dass Linkshändigkeit quasi nicht lebenswertes Leben,vom "rechten "Weg abgekommen,etc bedeutet,das ist mir im Laufe meiner Rückschulung persönlich äusserst schmerzhaft klar geworden.Meine gelesen zu haben,dass Hitler selbst Linkshänder war,umerzogen.
Weisst Du da was?
Beruflich hab ich seit über 30 Jahren täglich mit sogenannten "Randgruppen" zu tun.im Laufe meiner ca.12jährigen Rückschulung lebe ich quasi mit Menschen,die so einsortiert werden.
D.H.ich identifiziere mich nicht mehr mit Angehörigen einer Randgruppe,sondern ich lebe mit Menschen,d.h.ich ärgere mich auch über sie oder streite o.ä.Alles ganz real und respektvoll.
Dieser Prozess gab mir auch Standfestigkeit(in üblen Zeiten leider nur auf "vier Beinen":)
Seit ich von Harald Welzer "Das kommunikative Gedächtnis"gelesen habe,ist mir klarer geworden ,durch wieviele Schichten Prägung,Zuschreibenden,latenten Drohungen und quasi
"Todesangst"ich mich durchwurschtelte.Irgendwie hängt das auch historisch zusammen.
Danke,dass Du dieses Thema aufgegriffen hast.

BarbaraS
14.05.2013, 23:38
hallo Connie,

das sowohl Hitler als auch Himmler ULH waren, wird immer mal wieder aufgegriffen. Wenn man die Biographien liest, könnte schon einiges drauf hindeuten.

auf diese ganze Sache gekommen bin ich wirklich über eine Ausstellung zur Schulzeit in der NS-Zeit. Da gab es eben ganz klare Richtlinien und Dioktrine, die auch entsprechend weitergegeben und gelehrt wurden, und die Möglichkeiten Fakten kritisch zu hinterfragen, waren bei den damaligen Medien sehr begrenzt.

Ich könnte mir auch durchaus vorstellen, dass hier in gewisser Weise ein "Erb-Argwohn" gegenüber LH aus den vorigen Jahrhunderten zusammenkam mit dem Bewusstsein, dass LH sowohl als auch Homosexuelle spontan immer unter allen Bevölkerungsschichten waren, also nicht ethnologisch eingrenzbar, als auch dass man unschwer erkennen konnte, dass unter den LH sehr intelligente, entscheidungsfreudige, aber auch unkonventionelle Menschen waren. Und dass man sowohl LH als auch Homosexualität recht leicht verbergen konnte. Das könnte schon als so eine Art latente Gefahr gesehen worden sein.

Wenn dann eben dieser Zusammenhang in der Öffentlichkeit bewusst publiziert wurde, ein Kreislauf in der Richtung: LH - Homosexualität - geistige Minderbemittlung - Abnormitäten/Entartet - ich glaube, dass könnte durchaus ein Grund sein, warum unsere Eltern/Großeltern da unbewusst geschädigt sind. Die Lehrer unserer Eltern/Großeltern werden in dieser Zeit ihre Ausbildung entsprechend den damaligen Lehrstandarts erhalten haben. (wie weit das wirkt, kann man ja unschwer noch heute am in der Zeit geprägten "Zigennerbild" der Roma und Sinti erkennen)

Bleibt ein spannendes Thema

LG Barbara

BarbaraS
15.05.2013, 08:49
So, hier noch ein kleiner Nachtrag:

in dem Buch "Keine Zukunft für Adam" (http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3785721196/httpmengeccli-21/) des Genetikers Bryan Sykes wird auf den Seiten 305ff. über den eventuellen Zusammenhang von bestimmten Erbkrankheiten (Bluterkrankheit, Sichelzellenanämie) und Homosexualität und der Erkenntnis, das unter Homosexuellen prozentual mehr LH sind als unter Heterosexuellen, gesprochen. Der Verfasser vertritt die These, dass die Weitergabe dieser Gene unter Umständen gemeinsam erfolgt.

LG BarbaraS

BarbaraS
21.05.2013, 20:34
Hallo @ all,

ich habe ein wenig recherchiert:

Als erste Grundlage zum Umgang mit der LH im dritten Reich habe ich mir das Buch "Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene" von den Herren Baur, Fischer und Lenz, den sogen. BFL, ein Werk, dass in diversen Auflage über 20 Jahre erschienen ist und das deutsche Standardwerk zu diesem Thema darstellte, angesehen. Diese Werk soll auch die Grundlage für Hitler gewesen sein, seine Rassenhygyenischen Artikel in "Mein Kampf" zu verfassen.

Als Einschub:

in der Zeit der Jahrhundertwende bis ca 1930 hat man sich in allen Industriestaaten einschl Nordamerika intensiv mit der Rassenlehre des Menschen, der sog. Eugenik, beschäftigt. Grund war, dass die Industriealisierung und Verstääterung der Bevölkerung sowohl, als auch die bessere medizinische Versorgung der Bevölkerung andererseits dazu führte, dass in allen Industrienationen immer mehr Menschen lebten, die nicht direkt eine im Sinne eines Wirtschaftssystems verwertbare Leistung brachten oder einige Jahrzehnte vorher garnicht das Erwachsenenalter erreicht hätten. Man war also von Seiten der Staatsführungen bestrebt, die Bevölkerung dahingehend zu optimieren, dass ein großer Anteil Erwerbsfähiger bzw. Militärfähiger, bzw. zu diesem Ziele einsetzbarer Menschen zur Verfügung stand. So waren zu dieser Zeit in allen Industrieländern zahlreiche Wissenschaftler und Ärzte im Staatauftrag damit betraut, die Bevölkerung mit allen ihren Merkmalen geistiger und körperlicher Natur zu vermessen und zu katalogisieren.

Was sagt nun das deutsche Standardwerk, in den ersten Auflagen noch vor der Machtergreifung der Nationalsozialisten erschienen (ich hatte die 3. Auflage von 1927 zur Verfügung):

auf Seite 119 wird zunächst einmal recht wertfrei auf die LH an sich eingegangen, dahingehend, dass eine Vererbung der LH weitgehend ausgeschlossen wird, mit der Begründung, eineiige Zwillinge würden oft LH und RH sein, da eineiige Zwillinge ansonsten genetisch gleich sind, könne es sich hier, so Schluß der Wissenschaftler, nicht um ein vererbtes Merkmal handeln. Somit wurde dann die LH in den Bereich der Anomalien verwiesen.

auf Seite 262 unter dem Kapitel "Die krankhaften Erbanlagen"
- Anomalien der Körperform- wird gleich hinter Zwergenwuchs und Rachitis noch einmal die LH erwähnt, mit den Hinweis, das hier keine erbliche Veranlagung vorliegt und ein erheblicher Teil der LH-Kinder unter dem Einfluss der Erziehung rechtshändig wird, somit wird darauf hingewiesen, dass die Händigkeit weitgehend von äußeren Einflüssen abhängig ist.

auf Seite 425 wird in Bezug auf die Erblichkeitsforschung noch einmal auf die LH im Familienkontext eingegangen und sog. Linkser-Familien als zufällige Häufung dieser ANOMALIE ! gesehen.

auf Seite 349 habe ich zu den häufig vorkommenden US-Folgen Bettnässen und Stottern gefunden, dass diese als erbliches Nervenleiden, als Anomalie des Nervensystemes betrachtet werden.

auf Seite 382 habe ich zur Homosex. , unter krankhaften Erbanlagen beschrieben, gefunden, dass diese als etwas ausgesprochen krankhaftes zu betrachten sei.

Insgesamt also sicherlich keine guten Vorausssetzungen, ein Kind nicht umzuschulen. Die Diagnose für einen Linkser (so werden diese im Buch bezeichnet) würde also schwanken zwischen Anomalie und krankhaftem Nervenleiden, ggf. auch einem erblichen Nervenleiden, bedingt durch die Umschulung bzw. einem Einfluss der Erziehung zur Rechtshändigkeit, um die o.g. "Anomalien" auszuschalten.

Als nächstes werde ich mir ein Werk von Herrn Muckermann, einem Geistlichen, ansehen "Kind und Volk", ein Buch zur Erziehung des Kindes aus dieser Zeit, auf welches im Baur/Fischer/Lenz immer wieder verwiesen wird.
Der Link in meinem ersten post führt zum zweiten Teil des BFL, die von mir zitierten Seiten sind leider im ersten Teil, den ich nur über das Magazin der UNI Bremen eingesehen habe.

Gruß Barbara

Connie9
22.05.2013, 23:42
Daaaaaanke für Deine Mühe,sehr interessant!

BarbaraS
07.06.2013, 15:28
Hallo @ all,

hier habe ich etwas gefunden, nicht direkt zur Lh im dritten Reich, sondern im Umfeld. Ein kleines Büchlein, 1917 erschienen, Autor Rudolf Herbst mit dem Titel "Die Schrift der linken Hand".

Dieses Heft, rund 30 Seiten stark, befasst sich sehr ausführlich mit der Schrift der linken Hand, mit der Haltung der Feder (hier wird schon die Eignung einer Glasfeder für Lh erwähnt) und der Gestaltung der einzelnen Buchstaben bzw. der Reihenfolge der Auf- und Abstriche innerhalb der Buchstaben sowie der Blattlage und Handhaltung.

Hört sich alles sehr gut an, entspricht auch den heute noch von LH Beratern empfohlenen Handhabungen zur Stifthaltung und Blattlage.

So, nach Studium der ersten Seiten wird sehr schnell klar, dass dieses Heft keineswegs für den orginären LH bzw. deren Lehrer verfasst wurde (es wird im Zusammenhang mit Lh-keit an sich nur darauf eingegangen, dass es durchaus Kinder gibt, die beim Handarbeiten oder Heimwerken die linke Hand bevorzugen - den Lh an sich, als schreibenden Lh scheint es zu dieser Zeit nicht offiziell gegeben haben) sondern für alle diejenigen jungen Männer, die im 1.WK die rechte Hand verloren haben oder eine Verletzung erlitten haben, die das Schreiben mit rechts unmöglich macht. Nur für diese Personengruppe, bzw. für deren Wiedereingliederung in die Gesellschaft, in die werktätige Gesellschaft, scheint es gesellschaftlich toleriert und akzeptabel gewesen zu sein, mit links zu schreiben.

Als besonderer Ansporn für diese Schüler wird noch auf einige Künstler der Vergangenheit (da Vinci, A. Menzel) hingewiesen, die ihre Leistung "auch" unter Benutzung der linken Hand erbracht haben.

Soweit viele Grüße BarbaraS

PS: die im Einganspost erwähnte Studie von Grawitz 1935/36 LH und Homosex.... beauftragt von Himmler soll im Orginallaut verschollen sein. Ich versuche aber weiter, dazu etwas zu finden.

BarbaraS
16.09.2013, 15:28
Hallo @ all,

ich habe wieder einmal etwas gefunden, zum Thema "Erblasten" des LH.

Im Buch Prinzip Menschlichkeit/ Joachim Bauer (http://www.amazon.de/exec/obidos/ASIN/3453630033/httpmengeccli-21/) wird auf Seite 122 darauf verwiesen, dass das in meinem Post vom 21.05. angesprochene Buch "Menschliche Erblichkeitslehre und Rassenhygiene" der sogenannte BaurFischerLenz, jenes Buch von 1927, welches die Lh irgendwo zwischen Anomalie und Nervenleiden einordnet, bis in die 1970er Jahre ein Standardlehrbuch für Medizinstudenten war.

Alle die etwas älter sind, dürften also Kinderärzten oder Schulärzten begegnet sein, die mit dieser Publikation als Lehrbuch im Studium vertraut gemacht wurden.

Gruß BarbaraS