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Vollständige Version anzeigen : LH = Einzelgänger (= asozial?) - und dann??


Susi
03.02.2004, 08:05
Hallo,


z.Zt. lese ich in dem Buch: "Die Psyche des linkshändigen Kindes" von B. Sattler.


Nicht nur in dem Buch sondern auch hier im Forum ist immer wieder zu lesen, dass LH Einzelgänger sind und gerne für sich alleine sind.

So weit - so gut!


Aber was ist, wenn ein Einzelgänger dies nicht ausleben kann weil er (wie bei uns) in einer Großfamilie aufwächst bzw. sich in der Klasse und im Sportverein auch in eine Gruppe einfügen muss?

Entstehen dadurch die Aggressionen? (Unser LH ist aggressiv, introvertiert etc.)


Was ist dann zu tun?

Wie kann ein LH-Kind in einer Familie mit 6 Personen (der Rest RH) sein inneres Gleichgewicht finden - sind da doch die vielen Geschwister, die dafür sorgen, dass ein alleine sein kaum möglich ist?


Wenn es so ist, dass die Psyche darunter leidet, dann fühle ich mich als Mutter der Situation nicht gewachsen, ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie ich meinem LH-Sohn helfen kann aus dem Dilemma herauszufinden, nämlich seine Art wie er ist ausleben zu lassen und sich dennoch im Getümmel der Familie wohlzufühlen.


Wer hat eine Idee?


Gruß, Susi

Sonja
03.02.2004, 11:09
Hallo Susi


>Hallo,

>z.Zt. lese ich in dem Buch: "Die Psyche des linkshändigen Kindes" von B. Sattler.

>Nicht nur in dem Buch sondern auch hier im Forum ist immer wieder zu lesen, dass LH Einzelgänger sind und gerne für sich alleine sind.

>So weit - so gut!

>Aber was ist, wenn ein Einzelgänger dies nicht ausleben kann weil er (wie bei uns) in einer Großfamilie aufwächst bzw. sich in der Klasse und im Sportverein auch in eine Gruppe einfügen muss?

>Entstehen dadurch die Aggressionen? (Unser LH ist aggressiv, introvertiert etc.)



Aus eigener Erfahrung kann ich bestätigen, ja das macht aggressiv wenn man niemals seine Ruhe haben kann! Und Introvertiert sein bedeutet ja nichts anderes, als ein Rückzug in sich selber.




>Was ist dann zu tun?

>Wie kann ein LH-Kind in einer Familie mit 6 Personen (der Rest RH) sein inneres Gleichgewicht finden - sind da doch die vielen Geschwister, die dafür sorgen, dass ein alleine sein kaum möglich ist?

>Wenn es so ist, dass die Psyche darunter leidet, dann fühle ich mich als Mutter der Situation nicht gewachsen, ehrlich gesagt weiß ich nicht, wie ich meinem LH-Sohn helfen kann aus dem Dilemma herauszufinden, nämlich seine Art wie er ist ausleben zu lassen und sich dennoch im Getümmel der Familie wohlzufühlen.

>Wer hat eine Idee?

>Gruß, Susi




Ich finde es ganz toll, wie Du gewillt bist auf die Bedürfnisse Deines Sohnes einzugehen. Bei so vielen Kindern wäre es ganz sicher einfacher für alle geltende Regeln aufzustellen, zahlt sich irgendwann aber schlecht aus.


Mir fallen für Dich und Deinen Sohn spontan folgen Vorschläge ein:

Folgende Vorschläge fallen mir für Deinen Sohn ein:




- Mit einem Hund mit dem er viel alleine spazieren gehen kann kommt er nicht nur an die frische Luft, Bewegung kann seine Aggressionen abbauen, er ist in Harmonie mit dem Tier (das Buch, das Du ließt trägt nicht umsonst den Untertitel: Die Seele, die mit den Tieren spricht) und kann in freier Natur ganz wunderbar seinen Gedanken nachhängen oder freien Lauf lassen.

- Erlernen und Musizieren eines Instrumentes seiner Wahl

- Ein Baumhaus

- Eine Hobbywerkstatt im Keller

- Alles womit er selbständig seine Begabungen fördern kann, dann ist er mit sich im Reinen, kann sich also mit sich, seinen Gedanken und Gefühlen beschäftigen.


Liebe Grüße

Sonja

Tine
04.02.2004, 00:24
Hallo Susi!


Ich hab auch 4 Kinder. Mein ältester Sohn (knapp 7 Jahre, 1. Klasse) ist KH. Beim ganz Kleinen wissen wir es noch nicht, mein Sohn wünscht sich so, daß er auch LH wird (na ja, eigentlich "ist"...), aber im Moment sieht es eher nicht so aus.


Ich denke nicht, daß LH "a-sozial sind. Im Gegenteil, sie haben oft besonders feine Antennen für soziales.


Bei meinem Sohn ist es so, daß er schon mit Gruppen zurechtkommt, aber er "fließt nicht rein"... sondern bleibt eher am Rande. Er bleibt mehr er selbst, verschmilzt nciht so mit der Gruppe wie andere Kinder. Schwer zu beschreiben, verstehst du, wie ich es meine? Solange ihm das zugestanden wirs, sind Gruppen zumindest erträglich. Wird aber erwartet, daß er sich völlig einfügt, wird es problematisch (aber das ist bei meiner RH-Tochter fast noch ausgeprägter).


Hm... ich überlege, wann mein Sohn agressiv wird. Wobei ich das Wart nciht mag.... es ist so negativ besetzt. Ich sag mal lieber, wann er stark reagiert.


- Wenn er das Gefühl hat daß jemand ungerecht behandelt wird, egal ob er oder ein anders Kind.

- Wenn er überfordert ist. Das betrifft weniger den Kopf, sondern eher das soziale (zu viele Menschen in einem Raum, zu schnell wechselnde Anforderungen...)

- Wenn er unterfordert ist. Wobei das bei ihm recht schwierig ist, weil bei Aufgaben, mit denen vom Kopf her unterfordert wäre ihn seelisch überfordern.(JA, er KANN das Gedicht problemlos richtig ansagen, aber NEIN er kann es nicht JETZT und nicht vor so vielen Leuten ansagen. Ja und Nein... beides stimmt.)

- Wenn jemand versucht ihm etwas zu "lehren"

- Wenn er sich an Vorgaben halten muß (Noten, Spielregeln, die er nicht wirklich einsieht, z.B. bei Gruppenspielen im Sport, alles was unter"das macht man eben so" fällt)

- Wenn er mit mehreren Kindern gleichzeitig klarkommen muß.

- Wenn er zu wenig Zeit für sich hat

- Wenn er vor dem Fernseher gesessen hat

- ...


Zufrieden ist er:

- Wenn er selbstbestimmt lernen darf

- Wenn er viel Spielzeit hat

- Wenn er auf der Flöte improvisieren darf (er spielt und richtige Geschichten vor...)

- Wenn nur ein Spielkind da ist (am liebsten die 5-jährige Schwester)

- Wenn er mit einem Tier zusammen ist (bei ihm wird jedes Tier zahm... weiß nicht, wie er das macht)

- Wenn er mal mit Mama alleine kuscheln kann

-...


Mein Sohn scheint mir seelisch oft "jünger" als Gleichaltrige, sensibler, verspielter, weinerlicher, naiver... Der SChultag strengt ihn dadurch unheimlich an und er schafft es dann einfach nicht, zu Hause noch "vernünftig" zu reagieren. Wenn ich das als Tatsache und nicht als "nicht wollen" oder "ungezogen sein" sehe, fällt es mir viel leichter gelassen zu bleiben.


Vielleicht hift es dir, auch mal so eine Liste zu schreiben. Zu schauen, wo es immer wieder "Brennpunkte" gibt. Vielleicht kann man dann eineige Situationen abmildern oder gar vermeiden. Ich darf meine beiden Großen z.B. abends nicht zu gleich ins Bad lassen. Tagsüber sind sie ein Herz und eine Seele, aber abends, wenn sie müde sind, endet das meistens mit Tränen. Also geht der eine erst umziehen, der andere erst ins Bad.

Oder Flöte üben... er sieht schon ein, daß es ganz praktisch ist, die Noten und die Griffe zu kennen, aber daß man ein Lied noch weiter üben soll, wenn man doch begriffen hat, wie es klingen soll, das nervt ihn. Also teilen wir die Übungszeit, es ist Zeit zum üben nach Buch, aber auch Zeit zum einfach so flöten (am Liebsten zu 2.) Die Zeit ist für die Schwestern "tabu", d.h. sie dürfen leise im Raum sein, aber nicht stören und meine Konzentration ist bei meinem Sohn. So kommt er zwar viel langsamer voran, als es seinen Fähigkeiten entspräche, aber es macht ihm Freude.

Mittags merke ich wenn er aus der Schule heimkommt, ob er gut drauf ist, oder ob es "brodelt". Dann muß ich versuchen, ihm eine Zeit für sich alleine zu verschaffen (Je mach Situation z.B mit kochen lassen, ihn auf´s Sofa packen und ein bissel verwöhnen, ihn noch mal in den Garten schicken...). Leider merke ich es aber erst, wenn es zu spät ist und es "kracht" oder er wegen Kleinigkeiten in Tränen ausbricht. Hier hab ich noch ein groooßes Lernfeld. Aber wie heißt es: "Eltern wachsen mit ihren Kindern".


Ich sehe unsere etwas größere Familie eigentlich nicht als Problem, sondern als Geschenk. Wenn es mehrere Kinder sind, verteilt sich die Aufmerksamkeit der Eltern, das hat auch Vorteile, weil das Kind mehr Freiraum hat. Wenn in einer Ein-Kind-Familie bei einem Kind was nicht so glatt läuft, steht das "Fehlverhalten" viel mehr im Mittelpunkt.

Außerdem kann es hier im vertrauten Kreis Verhaltensweisen ausprobieren, ohne Angst "ausgestoßen" zu werden (auch wenn das Ausprobieren für die Eltern oft anstrengend ist).


Was macht dein Sohn denn für Sport? Alle Mannschaftsspiele würden zumindest zu meinem Sohn nicht passen. Eher Sportarten, wo jeder irgendwie seine Sache für sich amcht (Turnen oder so).


Zu Hause ist es mir wichtig, daß jedes Kind einen geschützten Raum hat, der für die anderen Tabu ist. Das ist kein eigenes Zimmer, aber eine bestimmte Ecke im Raum (vielleicht eine Art Kuschelecke mit Vorhang davor, oder ein "Zelt" überm Bett), die von anderen NUR nach Erlaubnis betreten werden darf.

Ein Tier ist sicher eine gute Idee, wenn er gerne eins möchte. Das quasselt nicht so viel, liebt einen, auch wenn´s in der Schule oder der Familie mal nicht so dolle läuft, braucht aber auch Zuwendung und Pflege. Mit einem Tier kann man ganz für sich und doch nciht einsam sein. Das gleicht vieles aus.


"Mama-allein-Zeit" für jedes Kind wäre mein Traum, aber geht leider nur selten. Dafür setze ich bei Autofahrten ganz bewußt das Kind neben mich, von dem ich das Gefühl habe, es braucht mich jetzt am meisten.

Aber grad für Jungs ist auch eine "Papa-allein-Zeit" ganz wichtig. Mein Mann nimmt immer mal nur ein Kind mit zum Einkaufen oder so. Geht das vielleicht bei euch?

Mein Sohn hat auch einen "Opa-Tag" in der Woche, wo ihn der Opa abholt und bis abends behält. Oder eines der Kinder geht zur (anderen) Oma für ein "Verwöhn-Wochenende".


Anfangs hatte ich ein schlechtes Gewissen deswegen, weil ich es nicht allein "geschafft" habe, allen gerecht zu werden. Aber inzwischen denke ich ein Mensch (nicht mal eine Mutter mit nur einem Kind) kann auch nur einem anderen Menschen alle Bedürfnisse erfüllen. Der Mensch ist nun mal nicht für die "Kleinfamilie" (auch wenn sie gar nicht so klein ist) gemacht, sondern für ein breiteres soziales Umfeld...auch LH.


Ich denke ganz wichtig für jedes Kind ist es, daß die Elten es "richtig" finden. So wie du bist, bist du richtig und so lieben wir dich. Ein Kind muß nicht richtig oder sozial "werden", es ist es... aber jedes Kind auf seine ganz eigene Weise.


Frag doch mal deinen Sohn selber, was er sich wünscht, was ihn in eurer Familie gefällt und was ihn nervt. Aber nicht so abstrakt, sondern ganz konkret. z.B. "Ich merke, daß du nach der Schule immer ziemlich KO bist. Ich hab das Gefühl, daß es dann ziemlich anstrengend für dich ist, grad mit den kleinen/Großen Geschwistern... Ich würde dir gerne halfen, hast du eine Idee, was dir Mittags gut tun könnte?"


Tja, nun habe ich dir einiges von uns erzählt, aber ich weiß nicht, ob dir das alles weiterhilft...

Ich wünsche dir viel Kraft für deine Famile, liebe Grüße,

Tine

Tine
04.02.2004, 00:34
Hallo noch mal,


... Mein ältester Sohn (knapp 7 Jahre, 1. Klasse) ist LH...


...meinte ich natürlich.

LG, Tine

Sonja
04.02.2004, 09:34
Das ist ein ganz toller Beitrag! In der Beschreibung Deines Sohnes entdecke ich mich selber wieder. So eine Mutter wie Du hätte ich auch gerne gehabt. Da fühlte ich mich mal so richtig verstanden.


Liebe Grüße

Sonja

Lotteflue
04.02.2004, 10:19
Hallo Tine
Das ist ein ganz toller Beitrag!


Ich finde ihn auch total schön.


Lotteflue