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Vollständige Version anzeigen : Kreative Rechtshänder denkbar?


August
12.03.2008, 02:55
Unser Sohn ist 6 Jahre alt und kommt im August zur Schule. Kürzlich eröffnete uns seine Klavierlehrerin, dass er aus ihrer Sicht und Tests eindeutig Linkshänder sei und unbedingt das Schreiben mit der linken Hand erlernen sollte. Anderenfalls, so meinte sie, drohe im dritten Schuljahr Legasthenie, Überforderung und schwindender Fortschritt im musischen Bereich.

Unser Sohn hat nach unseren Beobachtungen bisher bei allen Tätigkeiten die rechte Hand bevorzugt benutzt. Wir glauben auch, keinen Druck ausgeübt oder Bitten artikuliert zu haben, die rechte Hand zu nehmen. Da der Vater selbst in der Verwendung der linken/rechten Hand sehr variabel ist und überdurchschnittlich viel Zeit mit ihm verbringt, können wir uns nicht vorstellen, dass die bevorzugte Rechtshändigkeit unseres Sohnes der Nachahmung geschuldet wäre. Unser Blick war dahingehend eher geschärft als verklärt. Jetzt aber sind wir überrascht, neugierig und irritiert gleichermaßen.

Wir stehen dem Gedanken, dem Kind das Schreiben mit der linken Hand beizubiegen, skeptisch gegenüber, solange das eben gelüftete Phänomen nicht objektiviert ist.

Früher wurden Linkshänder auf rechts umgeschult - heutzutage scheint eher Anreiz zu bestehen, Rechtshänder umzuschulen, weil erkennbare hohe Kreativität eine latente Linkshändigkeit nahe zu legen scheint. Entsprechend erstaunliche Statistiken und Beispiele wurden uns vorgehalten.

Gibt es wirklich Fälle, dass Kinder, bei denen nie eine Bevorzugung der linken Hand beobachtet wurde, trotzdem Linkshänder sind und eine Nichtbeachtung so dramatische Folgen haben kann?

Das würde ja bedeuten, dass alle Kinder, unabhängig von elterlichen Beobachtungen, einem Spezial-Händigkeitstest unterzogen werden müssten, um Schaden abzuwenden - und das in beiden Richtungen, denn eine asymmetrische Behandlung erschiene uns unlogisch.

Wir achten das Bemühen unserer Ratgeber, möchten aber auch selbst verantwortungsvoll handeln.

Marina
12.03.2008, 10:59
Hallo August,
es gibt viele linkshändige Kleinkinder, die mangels linkshändiger Vorbilder sich an die rechtshändige Lebensweise ihrer Umgebung anpassen. Kinder lernen durch Nachahmung und wenn mit links nichts vorgemacht wird, kann das linkshändige Kind kaum aus sich selbst heraus Tätigkeiten mit links erlernen.
Ich kann nicht beurteilen, wie gut die Klavierlehrerin Eures Sohnes einen
Blick für die Händigkeit hat. Vielleicht ist es aber sinnvoll, vor Schulbeginn
Euren Sohn einfach mal auf seine Händigkeit testen zu lassen.
Verlieren könnt ihr dabei nichts, aber Ihr könnt Klarheit gewinnen, ob Euer
Sohn wirklich Rechtshänder ist oder Linkshänder.
Nach meiner bisherigen Erfahrung läuft die Tendenz jetzt nicht dahingehend, dass Rechtshänder auf links umgeschult werden. Es ist eher immer noch das Gegenteil der Fall, es gibt immer noch so viele verdeckt linkshändige Kinder.
Wenn diese verdeckten Linkshänder mit rechts schreiben lernen, wird es früher oder später zu Problemen kommen. Da hat die Klavierlehrerin grundsätzlich recht.
Um einem Kind solche unnötigen Probleme zu ersparen, sollte die Händigkeit
vor Schuleintritt geklärt werden.
Ich selber mußte als Linkshänderin mit rechts schreiben lernen; das hat mir nicht nur den Schulalltag unnötig schwer gemacht, sondern auch meine Kreativität beeinträchtigt.

Yvaine
12.03.2008, 11:08
Nun ja, ich bin einer dieser Fälle.

Ich musste selbst 36 Jahre alt werden, bis ich als Linkshänderin erkannt worden bin. Ich habe auch auf einen Bemerkung meiner Klavierlehrerin zuerst Recherchen eingeholt, dann das Buch von Frau Sattler gelesen (das zu 97% auf mich zutrifft) und dann einen Händigkeitstest gemacht.

Auch meinen Eltern war nie bewusst, dass ich Linkshänderin sein könnte - obwohl ich immer sehr kreativ und wenig logisch war.

Es gibt so viele Möglichkeiten, wie sich ein Kind selbst umschult, ohne es zu merken und ohne dass es jemand anderer merkt.

Ich selbst litt nie an Legasthenie, wohl aber an Dyskalkulie (Verdrehen von Ziffern, Probleme mit Richtungen, Probleme mit Zeit etc. - diese wurde übrigens auch in der Schule aufgrund meiner hohen Intelligenz, die das bis zu einem gewissen Grad kompensierte, nie tragisch genommen) und leide heute noch an einem extrem niedrigen Selbstwertgefühl und diversen anderen Persönlichkeitsstörungen.

Ich würde das Kind auf jeden Fall professional testen lassen. Eine Umschulung - ganz egal, ob sie schon passiert ist, oder ob sie jetzt passiert, wenn das möglicherweise doch rechtshändige Kind auf links geschult wird - haben lebenslange und mitunter weitreichende Folgen. Eine Testung ist dagegen nur ein sehr kleiner Aufwand.